(Max Frisch, Theater Konstanz, 2013)
Mit: Thomas Ecke, Stephan Faupel, Raphael Fülöp / Philip Heimke, Jonas Pätzold, Jana Alexia Rödiger, Jessica Rust
Regie: Sascha Bunge
Bühnenbild und Kostüme: Angelika Wedde
Musik: Stefan Faupel (Mouse Machine)
Dramaturgie:
Kathrin Simshäuser
Fotos: Ilja Mess
Presse: Südkurier
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Eine realistische Frage und fünf mögliche Antworten.
Die Frage: Warum kommt ein Biedermann nicht darauf, daß zwei Männer, die aussprechen, daß sie Brandstifter sind, die offen mit Benzin, Zündmaterial und Feuer hantieren, die bereits gezündelt haben, die ankündigen,weiterzuzündeln, warum kommt dieser Biedermann also nicht darauf, daß die Männer tatsächlich Brandstifter sind und tatsächlich einen Brand in seinem Haus stiften könnten?
Erste Antwort: Biedermann ist nicht in Not. (Zum Beispiel ist sein Haus gut versichert oder er hat noch ein zweites. Daß er sterben wird, glaubt oder fürchtet er nicht: Er hat noch ein zweites Leben oder ist ohnehin lebensmüde. Den Tod seiner Frau nimmt er billigend in Kauf oder hat ihn entsprechend versichert.) Seine Warnsysteme funktionieren also nicht.
Zweite Antwort: Biedermann hat zu viele Möglichkeiten, sich zu entscheiden, er zaudert und steckt in einem Handlungsstau fest. Seghals Gesetz sagt: "Ein Mann mit einer Uhr weiß immer, wie spät es ist. Ein Mann mit zwei Uhren ist nie ganz sicher". Schillers Wallenstein zum selben Thema: "Ich kann jetzt noch nicht sagen, was ich tun will."
Dritte Antwort: Weil dieser Gedanke zwar verrückt ist, aber nicht verrückt genug.
Vierte Antwort: Biedermann verfügt über keinen inneren Melder, dazu bekennt er sich. Das wäre utopisch, wehrlos, gar angstfrei zu sein. Sein Untergang wohl naiv aber richtig: Die Gefahr der sich auflösenden Mitte ist keine Gefahr, wenn die Mitte keine Mitte mehr ist, der Bürger kein Bürger mehr, weil der Kontext fehlt. "Es ist auch möglich, daß es mich gar nicht gibt." (Freud). Die Weltlage hat sich für den Haarwasserfabrikanten Biedermann verflüssigt, die Frage ist nicht mehr Sein oder Nichtsein, sondern, daß das Sein als disponibler Wert einer Variablen begriffen wird.
Fünfte Antwort: Biedermann mag die Gefahr. Er verspürt eine versteckte Faszination für das Partisanenhafte der Attentäter, die sich elegant und unbemerkt in der Wohnung des Gegners einnisten. Sein Heim ist zwar gefährdet, doch das bereitet ihm eine heimliche Lust. Er ist neugierig.
Letzte Antwort: Biedermann ist Pyromane, die Selbstzerstörung eine unbewußte apokalyptische Vision, die Grenzerfahrung des Bürgers, der sich und sein Geschlecht lieber ausgelöscht wissen will, als sich zu verändern. Ohnehin Alleinherrscher, wie ein Verkehrspolizist auf der Kreuzung, entscheidet er über Leben und Tod. Er sieht seinem eigenen Untergang lustvoll und fasziniert zu. Das macht Hoffnung.
Allerletzte Antwort: Als ausgebildeter Architekt hat Max Frisch ein einziges Haus gebaut. Der Auftraggeber, ein Haarwasserfabrikant, verklagte ihn wegen falscher Treppenmaße. In "Biedermann und die Brandstifter" geht es um Frischs Rache. Das wäre kleinlich aber sympathisch.
Sascha Bunge