(Rauminstallation für das Festival “reich und berühmt”, 2000, Podewil Berlin)
Idee und Realisierung: Sascha Bunge und Constanze Fischbeck
Bühnenbild und Kostüme: Constanze Fischbeck
Fotos: Lars Nickel
Sound: Thomas Hansche
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Die Rathauspassage, um 1970 direkt im Stadtzentrum Ostberlins entstanden, stellte zum Zeitpunkt ihrer Errichtung ein privilegiertes Wohngebäude dar. Mit der direkten Einbindung einer Laden- und Restaurantpassage und der unmittelbaren Nachbarschaft zum „Alex“ mit seinen Grünflächen, weiteren Einkaufsmöglichkeiten und diversen Springbrunnen, galt sie als gestaltgewordene Vision sozialistischer Lebensweise. Im Jahr 2000 präsentiert sich das Gebäude durch die Entwertung der Umgebung als ein architektonisch bezugsloses Gebäude, dessen zunehmende Verwahrlosung offensichtlich war. So nahm das einstige Vorzeigeobjekt zum Teil ghettoähnliche Züge an, die Vision eines modernen Zusammenlebens war dem Zustand einer urbanistischen Quarantäne gewichen. Zum Zeitpunkt der Arbeit an BIOTOP RATHAUSPASSAGE gab es ein vages Interesse der amerikanischen Supermarktkette wal-mart, die Erdgeschoßpassage zu mieten, in der sich bis heute vor allem Schnäppchen- und Billigmärkte befinden. Die einstige “Oase des Frohsinns” (Pressetext über den Alexanderplatz anläßlich der Weltfestspiele der Jugend und Studenten 1973) sollte durch den “Vermarkter von Fröhlichkeit” wal-mart neu belebt werden. Dies entbehrte nicht einer gewissen Komik. In den Gesprächen mit Bewohnern und Gewerbetreibenden bemerkte man die Verbitterung, die die Vernachlässigung des Hauses durch die Wohnungsbaugesellschaft auslöste. Menschen, die sich in der DDR zum Teil zur Oberschicht zugehörig fühlten, erlebten eine permanente Abwertung ihrer Lebensgeschichte. Gleichzeitig ließ sich bei Bewohnern und Touristen Kultstatus beobachten.
Mittels Befragung einzelner Bewohner des Gebäudekomplexes wurden Ausschnitte dieser Realität eingefangen. Verschiedene Fragenkomplexe gaben den Bewohnern die Möglichkeit, über Alltagserfahrungen hinaus Träume und Visionen zu definieren. Die Befragung zielte auf das konkrete Detail und auf soziale Zusammenhänge. Die Tonebene der Interviewpassagen wurde mit einer mehrschichtigen DIA-Projektionsebene konfrontiert, die die Personen, Ausschnitte aus ihrem sozialen Umfeld und die architektonischen Besonderheiten des langgestreckten Hochhauses thematisierte. So entstand eine inszenierte Dokumentation, die im Rahmen des Festivals „reich und berühmt 2000“ im Podewil nahe des Berliner Alexanderplatzes eine Woche lang täglich geöffnet war.
Sascha Bunge
Wenn man das mal minimiert, sind diese Wohnblöcke so etwas wie ´ne Ministadt gewesen. Hier ging man früh aus dem Haus, ging an seine Arbeitsstelle, ein Teil der Mieter arbeitete übrigens in den Geschäften und den Gaststätten. Das wissen viele gar nicht. Abends kam man wieder, hatte sein Lebensmittelgeschäft oder wenn man in Bedrängnis war und nicht eingekauft hatte, ging man in` s Moravia essen. … Man hatte seinen Arzt auf der Terrasse, man hatte seinen Zahnarzt am anderen Ende der Terrasse. Man hatte seinen Zeitungsladen, hier im Haus. Und es gab dieses riesige Haus der Mode, wo es alles, was man sich zu DDR-Zeiten an gehobenerem Geschmack wünschte, bekam. … Ich denke mir, die soziale Funktion, die so ein ein Wohngebiet hat, die fällt bei einer Modernisierung oder Rekonstruktion unter den Tisch, weil sich das nicht rechnet. … Dieser hübsche Kindergarten war einer der Ersten, der zugemacht wurde. Jetzt ist da ein Ableger von der Sparkasse drin. … Es ist eine schleichende Verslumung in diesem Viertel festzustellen. …
Bewohner