Hochzeitsreise

(Vladimir Sorokin, 1999, Freie Kammerspiele Magdeburg in der Fabrikhalle Mittagstrasse)

Mit: Eckhard Doblies, Gerda Haase, Enrique Keil, Franziska Ritter, Thomas Wingrich

Regie: Sascha Bunge

Bühnenbild und Kostüme: Constanze Fischbeck

Projektionen: Mingo Wendt

Dramaturgie: Marianne Janietz



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Hochzeitsreise

Das zwanzigste Jahrhundert ist der makabre Beweis für die Endlichkeit der Welt, mein Kind lass es dir gesagt sein, keiner kann sich der Schuld entledigen, weder die, die es getan, noch die, die es zugelassen, vielleicht ist die Waage zu einigen Gramm zu deutschen Ungunsten verschoben, aber das Pfund der Verheerung liegt beiderseitig wie ein blutiger Bregen auf der Pfanne. ... Und der Pendel ist ausgeschlagen, weil die Menschheit noch nicht soweit ist, wie es das neue Jahrhundert zu Anfang so ungestüm proklamiert hat, das Bewusstsein hockt noch auf den Bäumen, und das aufgeschlagene Universum hat mehr Angst als Neugier produziert, so hat der Mensch sich von der neueren Physik getrennt, um den Möglichkeiten noch einmal zu entgehen, die Konsequenz des neuen Denkens an sich selbst auszuprobieren, und schickte sich in die Inquisition zurück, in der Hoffnung, die alte Technik des Grauens würde die Widersprüche, zu denen das Bewusstsein aufgerufen war, schneller und besser lösen, ohne von den gewohnten Dingen Abschied nehmen zu müssen. Deutschland war für die Welt ein Versuch wert, andere Versuche werden folgen, bis der Abstand zwischen Bewusstsein und Erfindungsgabe so uneinholbar geworden ist, bis der Umschlag in ein neues technisches Bewusstsein uns das wahre Grauen lehren wird, das wir dann schon nicht mehr in der Lage sind zu erkennen, weil es ein künstliches Bewusstsein ist, das wir für das eigentliche halten werden.

Stefan Schütz, Medusa


Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.

William Faulkner