(Carl Sternheim, Landestheater Schleswig-Holstein, 2018)
Mit: Manja Haueis, Lisa Karlström, Lorenz Baumgarten, Klaus Gramüller, Reiner Schleberger, Nenad Subat, Andreas Torwesten
Regie: Sascha Bunge
Bühnenbild und Kostüme: Angelika Wedde
Musik: Stefan Faupel
Dramaturgie: André Becker
Fotos: Henrik Matzen
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Wenn uns am Phänomen des Zorns etwas fasziniert, dann hat das mehrerlei Gründe. Der erste Grund hängt mit seiner Ambivalenz zusammen. Unabhängig davon, ob er ein individuelles oder ein kollektives emotionales Ereignis betrifft, kann der Zorn sowohl die legitime Reaktion auf eine Kränkung sein als auch der Ausdruck eines unerträglichen Strebens nach Dominanz. Es gibt den Zorn des Tyrannen, und es gibt den Volkszorn; es gibt den Zorn des Kriegers oder des Mörders, und es gibt den Zorn Gottes. Allgemeiner gesprochen scheint der Zorn von einer inneren Bewegung herzurühren, die sich uns entzieht: Er ist es, der uns packt und mitreißt. Insofern zeigt er an, daß es in uns einen wilden Untergrund gibt, der uns überrascht, der uns vielleicht schmeichelt, der uns aber auf alle Fälle beunruhigt. Seine Spontaneität und seine Authentizität verleihen ihm eine gewisse Nobilität. Man mag noch so sehr anprangern, was an ihm von Kontrollverlust und mangelnder Besonnenheit zeugt, das verhindert nicht, daß der Zorn uns auf obskure Weise suggeriert, daß sogar sein Übermaß gute Gründe habe. Denn selbst wenn ihm die Drohung einer gewissen Destruktivität innewohnt, so gibt er uns gleichwohl das Gefühl, eine Energie zu sein, die mit dem Leben in Verbindung steht, ja mehr noch: mit dem Verlangen nach Leben, der Verweigerung von Unterwerfung; etwas Ursprüngliches, Mächtiges zu sein, wie eine unbekannte, noch eingedämmte Kraft; etwas, das einen Wink gibt in Richtung von Freiheit, vielleicht sogar Gerechtigkeit.
Marcell Hénaff, Der Zorn aus der Ferne