15.10 Uhr, Berlin-Rummelsburg, Hauptstraße
Über das auftauende Eis auf dem Rummelsburger See kommen langsam zwei Enten auf das Ufer zu. Sie picken ab und an mit ihren Schnäbeln im Eis. Die Luft ist feucht.
„Hör auf zu predigen, sonst bring ick dich ins Tierheim.“ Die Frau, der die rauhe, tief sitzende Stimme gehört, ist schlank, etwa 60 Jahre alt, nicht größer als 1,55 m, trägt einen roten eleganten Mantel und zieht einen Rolli hinter sich her, aus dem eine Media-Markt-Tüte und ein eingewickelter Blumenstrauß heraussehen. Ihre hellgrauen Haare hat sie mit einer blauen Schleife zu einem Pferdeschwanz gebunden.
Der Prediger neben ihr, dem sie die Arbeit verbieten will, ist ein mittelgroßer deutscher Schäferhund, der aufgerichtet einen kleineren Hund auf der anderen Seite anbellt, einen Cocker-Spaniel. Dabei verstellt er seiner Herrin den Weg. Die Frau mustert den Cocker, schüttelt den Kopf und greift in die Tüte. „Du musst mich doch gegen so eine Kröte nicht verteidigen, Fred, ich kann selbst auf mich aufpassen.“ Fred, dessen Namen sie amerikanisch ausspricht, hört erst auf zu bellen, als sie aus der Tüte eine Bockwurst zieht. Sofort fängt er leise an, zu winseln, geht in Sitz-Stellung und schaut sie abwartend an. Sie hat inzwischen ein Küchenmesser aus der Tüte gezogen und schneidet die Wurst in kleine Stücke, die er ihr einzeln von der Handfläche nimmt- und in seinem Maul hin- und herkaut Das letzte Stück isst sie selbst. Kauend stehen sie auf dem Bürgersteig neben einer Straßenlaterne, an der eine Werbetafel der FDP hängt. „So Fred, und jetzt gehen wir mal unsere Blumen abgeben. Der Papa wartet schon auf uns.“ Während sie allmählich losläuft und dabei vor sich hinbrummt, stöbert der Hund kurz in den Resten einer herumliegenden Zeitung, bevor er auf ein ruhiges „Komm Fred“ reagiert und ihr langsam folgt. Der Cocker auf der anderen Seite der Straße, in dessen Nähe kein Mensch zu sehen ist, bleibt noch kurz stehen und verschwindet dann langsam in Richtung Südosten.
Sascha Bunge, 2. Februar, 2006