Wunschkonzert

(Franz Xaver Kroetz, 1998, Freie Kammerspiele Magdeburg)

Mit: Gerda Haase und Gerald Fiedler (als Sprecher)

Regie: Sascha Bunge

Bühnenbild und Kostüme: Constanze Fischbeck

Projektionen: Mingo Wendt

Dramaturgische Mitarbeit: Anja Hartung

Fotos: Mingo Wendt

Presse: Silberfisch, Magdeburger Volksstimme



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WIE MÖCHTEN SIE ÜBER EINEN FALL VON SUIZID IN IHREM WOHNGEBIET INFORMIERT WERDEN?

WUNSCHKONZERT beschreibt die letzten 75 Minuten im Leben einer alleinstehenden Frau. In der Ordnung der sie umgebenden Dinge läßt sich Penetranz erkennen, ihr Teil der Welt ist sauber. Während der Erledigung des Haushalts hört sie eine Radiosendung mit ihrem Lieblingsmoderator. Anschließend begeht sie mit Hilfe von Tabletten einen sanften Suizid.

WUNSCHKONZERT kann, ohne gesprochenes Wort, als Selbstverständigungsvorgang einer am Rand der Gesellschaft lebenden Frau gelesen werden. Wie mit einem Seziergerät betrachtet man ihre Isolation in einer minimalistischen Wohnquarantäne. Der Tötungsakt ist nicht Ausweg sondern letzte Entscheidung, vielleicht Emanzipation. In einem Schaukasten erleben die Zuschauer die letzten Verrichtungen des Fräulein Rasch wie einen Forschungsgegenstand.

Kroetz verlangt Realismus. Wir haben die Geschichte von Fräulein Rasch als die einer Magdeburger Frau erzählt, als wären wir in einem Museum. Ausschnitte, die gewöhnlich und undramatisch, dafür detailliert beschrieben werden: umkleiden, essen, trinken, kochen, saubermachen, schlafen, nichts Aufregendes. WUNSCHKONZERT widmet sich dem Alltag einer großen Gruppe von Menschen, die allein sind, aus den gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen, aufgrund ihres Alters oder aufgrund von Arbeitslosigkeit. Was ist mit diesen Menschen, wo liegt ihr Potential? Das kann man versuchen, nachzuvollziehen. Normalerweise spielen Menschen wie Fräulein Rasch nur noch auf dem Sozial- oder auf dem Rentenbemessungsamt eine Rolle, und das nicht mehr sehr lange, wenn man den ökonomischen Prognosen glaubt. Diese Menschen sind für die Gesellschaft kaum noch effizient, trotzdem leben sie. Es stellt sich die Frage, warum es sich eine Gesellschaft leistet, auf das kreative Potential vieler Personen zu verzichten, die ihr Leben gelebt haben und oftmals auch das Interesse haben, das einzusetzen oder weiterzuvermitteln. Der Philosoph Emile Cioran, selbst übrigens eines natürlichen Todes gestorben, schreibt in „Begegnungen mit dem Selbstmord“: „Man sollte aus Anstand selber den Augenblick des Verschwindens wählen. Es ist erniedrigend, zu erlöschen wie man erlischt; es ist unerträglich, einem Ende ausgeliefert zu sein, auf das man keinen Einfluss hat, das uns auflauert, uns niederschlägt. Vielleicht wird die Zeit kommen, da der natürliche Tod verachtet wird. Es ist unsere Sache, zu lernen, uns im rechten Moment zu zerstören.“ WUNSCHKONZERT untersucht Selbstmord als Fortsetzung des Lebens, als einzige Möglichkeit, den Körper vollständig in die eigene Hand zu nehmen, Suizid als Zeichen von Souveränität.

Sascha Bunge